Wissenschaftler befürchten den Verlust kostbarer Klimadaten durch Gletscherschmelze.
In den Schweizer Alpen befindet sich der Corbassièregletscher, ein eisiger Riese, der mit seinen 9,6 Kilometern Länge zu den imposantesten Natursehenswürdigkeiten der Region zählt. Dieser Gletscher ist jedoch nicht nur ein atemberaubendes Naturphänomen, sondern auch ein Archiv für vergangene Klimaereignisse, in seinen Schichten gespeichert. Diese wichtige Informationsquelle ist nun bedroht, da der Gletscher rapide an Masse verliert.
Beobachtungen des Schweizer Gletschermessnetzes zeigen einen deutlichen Rückgang des Gletschers: Zwischen 1889 und 2020 hat der Corbassièregletscher rund 1,3 Kilometer an Länge verloren. Ihre einst hellen Flächen beginnen zu schwinden und das darunterliegende Gestein kommt mehr und mehr zum Vorschein, ein visuelles Zeugnis des klimatischen Wandels.
Die Vergangenheit im Eis verschwindet
Klimaarchive unter Druck
Das stetige Abschmelzen der Gletscher stellt jedoch nicht nur für die Natur, sondern auch für die Wissenschaft ein Problem dar, denn damit drohen klimatische Daten aus vergangenen Zeiten unwiederbringlich verloren zu gehen. Wissenschaftler nutzen die Gletscher, um Ablagerungen von Aerosolen – winzigen Partikeln in der Luft – aus verschiedenen Zeitepochen zu analysieren und damit Rückschlüsse auf frühere Umweltbedingungen zu ziehen. Diese Partikel spiegeln die atmosphärische Zusammensetzung wider und sind wichtige Indikatoren in der Klimaforschung.
Eisschichten als Zeugen der Geschichte
Schweizer Forschende schlagen Alarm
In den Jahren 2018 und 2020 führte ein Forschungsteam aus der Schweiz und Italien Bohrungen durch und entnahm Eiskerne aus dem Corbassièregletscher. Durch die Analyse der Eiskernschichten und ihrer Ablagerungen erhofften sich die Forscher, die Zusammensetzung der Luft über Jahrtausende hinweg rekonstruieren zu können. Doch die Forschung ist einem zunehmenden Problem ausgesetzt.
Die ersten Ergebnisse waren wie erwartet: Im Winter, wenn die Luft kälter und sauberer ist, waren die Partikelkonzentrationen im Eis geringer. Doch bereits 2020 waren die Unterschiede zwischen den Jahreszeiten in den Eiskernen nur noch schwer erkennbar, weil die Schmelze Teile der Ablagerungen bereits weggetragen hatte. Ein besorgniserregender Umstand, denn mit jedem weiteren Grad der Erwärmung könnten historische Klimadaten unwiderruflich verloren gehen.
Verlust historischer Daten
Margit Schwikowski, eine Umweltchemikerin am Paul Scherrer Institut, erläuterte die Dringlichkeit des Problems. Sie ist überzeugt, dass die Auswirkungen des Klimawandels jetzt auch in alpinen Regionen, die einst als sicher vor solchen Veränderungen galten, spürbar werden.
Ein Rennen gegen die Zeit
Ice Memory – Ein Projekt zur Datensicherung
Forscher:innen wie Schwikowski kämpfen nun darum, die noch vorhandenen Informationen aus Gletschern zu bewahren und haben zu diesem Zweck die Initiative „Ice Memory“ ins Leben gerufen. Ziel dieser Initiative ist es, innerhalb der nächsten 20 Jahre Eiskerne von 20 gefährdeten Gletschern zu entnehmen und in einem speziellen Archiv für die Nachwelt zu sichern.
Das Archiv der Zukunft
Damit hofft man, das einmalige Wissen – wie in einem Zeitkapsel-Prinzip für spätere Generationen zugänglich – zu erhalten, auch wenn die Gletscher selbst eines Tages nicht mehr existieren sollten. Ein wichtiger Schritt, um die Geschichte unseres Klimas auch in Zeiten globaler Umbrüche nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Klimaforschung steht vor großen Herausforderungen
Die verschwindenden Gletscher bedeuten also nicht nur für Naturliebhaber:innen und Alpinist:innen einen Verlust. Vielmehr stehen Forscher:innen weltweit vor der Herausforderung, die gewaltigen Datenarchive, die die Gletscher bieten, innerhalb kürzester Zeit zu sichern, bevor sie für immer verloren gehen.
Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, und die Wissenschaft ist bereit, alles zu tun, um das wertvolle Erbe der Gletscher zu bewahren.